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Interview

Antiimperialismus soll diskreditiert werden

Die diesjährige Demo in Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor vier Jahren fand am 19. Februar unter dem Motto „Gegen rechte Gewalt, Rassismus und Spaltung – für Solidarität und Zusammenhalt“ statt. Dort kam es zu Spannungen zwischen einem ehemaligen Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Gießen und der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Gießen (ARAG), in Folge dessen eine hartnäckige Kampagne gegen die ARAG startete. Wir haben mit Mitgliedern der Gruppe ARAG gesprochen.

Warum habt ihr an der Hanau-Gedenkdemo teilgenommen?

Seit dem rassistischen Anschlag vor vier Jahren in Hanau nehmen wir jedes Jahr an der Gedenkdemo teil. Wer aufrichtig gegen Rassisten und Faschisten kämpfen will, der darf die Rolle des deutschen Staates nicht ausklammern. Deshalb weisen wir jedes Jahr auf die Verstrickungen von Teilen des Staatsapparats mit faschistischen Terror-Banden und Netzwerken hin, denen auch Angehörige von Polizei und Bundeswehr angehören.

Nach der Demo wart ihr Gegenstand medialer Kritik. Eure Schilder sollen israelfeindlich gewesen sein.

In diesem Jahr haben wir die Bedeutung des internationalen Kampfes gegen Rassismus betont, was wir durch das Tragen von Schildern mit Aufschriften wie „Hanau war kein Einzelfall“, „Kampf gegen Rassismus = Kampf gegen Apartheid“ und „Ob Hanau oder Gaza, Rassismus hat System – Kapitalismus ist das Problem“ verdeutlichten. Die Bundesregierung hat ihre Waffenlieferungen an die ultrarechte Regierung Israels 2023 verzehnfacht und beteiligt sich damit aktiv am Vernichtungskrieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Das lassen wir nicht unwidersprochen.

Auf der Demo soll es zu Auseinandersetzungen gekommen sein. Was ist dort am 19. Februar passiert?

Beim Versuch, sich in die Demo einzureihen, wurde eine unserer Teilnehmerinnen von einem Mann abgepasst, der begann hartnäckig auf sie ein zuredeten. Er behauptete, aufgrund unserer Schilder auf seine geplante Rede als jüdischer Vertreter zu verzichten und die Demo zu verlassen.

Er verweigerte unserer Genossin das Wort und reagierte zunehmend aggressiv, als eine weitere hinzukam. Sie versuchte, auf die Bedeutung der internationalen Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus hinzuweisen, doch er übertönte ihre Worte und beharrte darauf, die Demonstration verlassen zu wollen. In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dialogbereitschaft und um weitere Belästigung zu unterbinden, fordert eine unserer Genossinnen den Mann mit den Worten „verpiss dich“ auf sich von uns zu entfernen. Daraufhin behauptete dieser lautstark geschubst worden zu sein. Es gibt mehrere Teilnehmer der Demo, die bezeugen können, dass das nicht passiert ist.

Welche Auswirkungen hatte die Kontroverse auf das städtische Leben?

Bereits einen Tag nach der Demonstration wurden proaktive Ermittlungen wegen Körperverletzung seitens der Polizei bekannt. Es gab eine intensive Berichterstattung in der Lokalpresse, insbesondere durch die Gießener Allgemeine Zeitung, die den vermeintlichen „Vorfall“ in den folgenden acht Tagen nahezu täglich behandelte.

Sogar der Bundestagsabgeordnete Felix Döring äußerte sich zu diesem Thema. Über soziale Medien verbreitete er tendenziöse Behauptungen über unsere politischen Standpunkte von Israel bis zur Ukraine und forderte, dass Personen wie wir „aus Bewegungen ausgeschlossen, isoliert und geächtet werden“ sollten. Darüber hinaus wurden wir im Studierendenparlament aufgrund unbelegter Behauptungen von der Soli-Liste gestrichen.

Schließlich gelangte die Angelegenheit ins Stadtparlament, wo die CDU einen Dringlichkeitsantrag einreichte, der ein Nutzungsverbot städtisch finanzierter Räume für Organisationen wie unsere forderte. Fast alle Parteien von der AfD bis zur Linken stimmten zu, den Vorstoß zu prüfen. Die Partei und Gig Volt enthielten sich. Die einzige Gegenstimme kam von der Genossin der DKP.

Auf welcher Grundlage sollten ihnen das Nutzen städtischer Räume untersagt werden?

Die CDU begründete ihren Antrag mit der angeblichen Leugnung des Existenzrechts Israels durch unsere Strukturen, ohne dafür einen Beweis zu erbringen. In den folgenden Tagen wurde Druck auf die lokale Kulturgenossenschaft raumstation3539 ausgeübt, die seit vielen Jahren Räume neben der ARAG an verschiedene politische und künstlerische Akteure in Gießen vermietet, um sie dazu zu bringen, die Kooperation mit uns sofort zu beenden.

Wie ging die Angelegenheit weiter?

Oberbürgermeister Becher hat erklärt, dass es derzeit keine rechtliche Möglichkeit gibt, bestimmte Gruppen grundsätzlich von der Nutzung städtischer Räume auszuschließen. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass das „Demokratiefördergesetz“ von Faeser weitere Einschränkungen bürgerlich-demokratischer Rechte mit sich bringt. Becher betont zudem, dass mit „größter Aufmerksamkeit“ geprüft werden müsse, ob Veranstaltungen die öffentliche Sicherheit gefährden und es strafbare Handlungen gebe. Wie das aussieht, bleibt abzuwarten.

Die raumstation3539 prüft aktuell die weitere Vermietung an uns und hat bei den Parteien, die verschiedene Vorwürfe an uns adressieren um Belege gebeten.

Euch wurde Antisemitismus vorgeworfen. Was entgegnet ihr darauf?

Wir stellen uns entschieden gegen Antisemitismus. Dies haben wir in der Vergangenheit durch unsere Aktivitäten immer wieder deutlich gemacht. Sei es bei Mahngängen zur Erinnerung an die Angriffe auf die jüdische Bevölkerung während der Reichspogromnacht, bei antifaschistischen Stadtrundgängen oder während Bildungsfahrten nach Buchenwald oder Natzweiler-Struthof.

Wir sind der Überzeugung, dass diejenigen, die uns mit diesen Vorwürfen konfrontieren, nicht aufrichtig daran interessiert sind, aktiv gegen Antisemitismus vorzugehen. Vielmehr scheinen sie diese Anschuldigungen zu konstruieren, um unsere klare antimilitaristische und antiimperialistische Haltung zu diskreditieren, sowie unsere Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung zu untergraben.

Was sagt ihr zu dem Vorwurf der Demokratie- und Staatsfeindlichkeit?

Die Urheber dieser Vorwürfe scheinen Kapitalismus mit Demokratie zu verwechseln. Im Kapitalismus setzen sich nicht die Interessen der Mehrheit, sondern die Interessen der Minderheit, der besitzenden Klasse durch. Als kommunistische Gruppe streben wir eine Gesellschaft an, in der die Mehrheit, also die Klasse der Lohnabhängigen, die Produktionsmittel besitzt und damit nicht mehr der Herrschaft der Kapitalistenklasse unterliegt. Wir sind also keine Feinde der Demokratie, im Gegenteil, wir fordern mehr Demokratie für alle.

Im Grundgesetz ist die Wirtschaftsweise nicht festgeschrieben, daher wäre genauso gut eine sozialistische Wirtschaftsordnung möglich, was wir ausdrücklich begrüßen würden. Unser Demokratiebegriff umfasst nämlich auch die Art des Wirtschaftens. Seit Jahren kämpfen wir gegen Demokratieabbau, wie den Ausbau polizeilicher- und geheimdienstlicher Befugnisse und die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wer das als „staatsfeindlich“ bezeichnet, hat unserer Auffassung nach ein fragwürdiges Staats- und Demokratieverständnis.

Es ist außerdem bemerkenswert, dass der Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit ausgerechnet von Akteuren kommt, die in ihrer Praxis wenig Wert auf diese propagierten Werte legen. Die Kampagne gegen uns hat offenbart, dass sie die Meinungsfreiheit angreifen, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken, dass die Unschuldsvermutung für politische Gegner nicht gilt und es auch keine Prüfung von Vorwürfen bedarf, um einen zu verurteilen. Unsere Überzeugungen stehen für eine echte Demokratie mit sozialistischer Produktionsweise, in der alle Menschen ein freies und gleichberechtigtes Leben führen können.